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ideen-traditionen:erinnerungsort [2017/01/17 23:59]
matthias.opitz [Sachgeschichte]
ideen-traditionen:erinnerungsort [2018/07/11 14:46] (aktuell)
redaktion
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 ====== Erinnerungsort ====== ====== Erinnerungsort ======
  
 +--- //​[[redaktion@zeitraum-siegen.de|Matthias Opitz]] //
  
 Erinnerungen prägen unser Leben und unsere Persönlichkeit. Die Vergangenheit ist nicht unmittelbar erfahrbar; sie kann nur aufgrund von Zeugnissen gedeutet und zu für uns heute sinnvollen Erzählungen verknüpft werden, die Antworten auf existentielle Fragen versprechen:​ Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Erinnerungen prägen unser Leben und unsere Persönlichkeit. Die Vergangenheit ist nicht unmittelbar erfahrbar; sie kann nur aufgrund von Zeugnissen gedeutet und zu für uns heute sinnvollen Erzählungen verknüpft werden, die Antworten auf existentielle Fragen versprechen:​ Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?
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 Die „Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart“ (Pierre Nora) ist in unserem alltäglichen Umfeld auf vielerlei Art und Weise spürbar. Wir leben in einer regelrechten //​Erinnerungskultur//;​ nicht nur Orte wie Museen oder Denkmäler, sondern auch vielfältige andere (Erinnerungs)Orte geben Anlass dazu, uns mit uns selbst und der Vergangenheit zu beschäftigen. ​ Die „Präsenz der Vergangenheit in der Gegenwart“ (Pierre Nora) ist in unserem alltäglichen Umfeld auf vielerlei Art und Weise spürbar. Wir leben in einer regelrechten //​Erinnerungskultur//;​ nicht nur Orte wie Museen oder Denkmäler, sondern auch vielfältige andere (Erinnerungs)Orte geben Anlass dazu, uns mit uns selbst und der Vergangenheit zu beschäftigen. ​
  
-Aber nicht nur einzelne Menschen erinnern sich, auch gesellschaftliche Gruppen besitzen gemeinsame Erinnerungen und somit ein kollektives Gedächtnis. Solche kollektiven Erinnerungen bedürfen bestimmter Ankerpunkte,​ durch die sie Gestalt annehmen können. Das können konkrete Orte, Menschen und mythische Gestalten, Ereignisse, Ideen, Bräuche oder auch Symbole sein. Diese Ankerpunkte werden als //​Erinnerungsorte//​ bezeichnet. In Siegen und dem Siegerland sind es sicherlich für viele Henner und Frieder, die beiden Schlösser, die weithin sichtbare Nikolaikirche mit dem „Krönchen“,​ der Maler Rubens, der Hauberg oder der Bergbau. Die Beschäftigung mit diesen Erinnerungsorten trägt zu einer „Selbstentdeckung“ und vielleicht auch zur Neuentdeckung der Region bei.+Aber nicht nur einzelne Menschen erinnern sich, auch gesellschaftliche Gruppen besitzen gemeinsame Erinnerungen und somit ein kollektives Gedächtnis. Solche kollektiven Erinnerungen bedürfen bestimmter Ankerpunkte,​ durch die sie Gestalt annehmen können. Das können konkrete Orte, Menschen und mythische Gestalten, Ereignisse, Ideen, Bräuche oder auch Symbole sein. Diese Ankerpunkte werden als //​Erinnerungsorte//​ bezeichnet. In Siegen und dem Siegerland sind es sicherlich für viele [[ideen-traditionen:​henner_und_frieder|Henner und Frieder]], die beiden Schlösser, die weithin sichtbare ​[[orte:​nikolaikirche|Nikolaikirche]] mit dem [[ideen-traditionen:​kroenchen|„Krönchen“]], der [[menschen:​peter_paul_rubens_1577-1640|Maler Rubens]], der Hauberg oder der Bergbau. Die Beschäftigung mit diesen Erinnerungsorten trägt zu einer „Selbstentdeckung“ und vielleicht auch zur Neuentdeckung der Region bei.
  
 ===== Sachgeschichte ===== ===== Sachgeschichte =====
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 Erinnerungsorte entstehen allerdings nicht immer nur auf natürliche Weise ‚von unten‘, d. h. innerhalb der Erinnerungsgemeinschaften. Daneben sind ‚Erinnerungsspezialistinnen und Erinnerungsspezialisten‘ wie Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer,​ Museumsfachleute,​ Archivare und Archivarinne oder Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen sowie mitunter auch Laien oder semi-professionelle Akteure aus Heimatvereinen oder der Werbe- und Tourismusbranche an der Entstehung bzw. Etablierung von Erinnerungsorten im kollektiven Gedächtnis beteiligt. Dabei wird teilweise aktiv versucht, ein bestimmtes Geschichtsbild zu vermitteln. Manchmal geschieht dies mehr oder weniger als Nebenprodukt,​ vor allem, wenn Erinnerungsorte für touristische Zwecke benutzt werden. ​ Erinnerungsorte entstehen allerdings nicht immer nur auf natürliche Weise ‚von unten‘, d. h. innerhalb der Erinnerungsgemeinschaften. Daneben sind ‚Erinnerungsspezialistinnen und Erinnerungsspezialisten‘ wie Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer,​ Museumsfachleute,​ Archivare und Archivarinne oder Denkmalpfleger und Denkmalpflegerinnen sowie mitunter auch Laien oder semi-professionelle Akteure aus Heimatvereinen oder der Werbe- und Tourismusbranche an der Entstehung bzw. Etablierung von Erinnerungsorten im kollektiven Gedächtnis beteiligt. Dabei wird teilweise aktiv versucht, ein bestimmtes Geschichtsbild zu vermitteln. Manchmal geschieht dies mehr oder weniger als Nebenprodukt,​ vor allem, wenn Erinnerungsorte für touristische Zwecke benutzt werden. ​
  
-Nicht nur Pierre Nora, sondern auch die deutsche Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und ihr Mann, der Kulturwissenschaftler Jan Assmann, haben sich von Maurice Halbwachs‘ Überlegungen inspirieren lassen. Sie entwickelten dessen Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis weiter und unter-scheiden ​zwischen einem kurzlebigen,​ dynamischen kommunikativen einem dauerhaften kulturellen Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis dient in erster Linie der Bewältigung des täglichen Lebens. Die darin bewahrten gemeinsamen Erinnerungen beruhen auf der alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation und gehen nach nur etwa drei bis vier Generationen verloren. Im Gegensatz dazu ist das kulturelle Gedächtnis in seiner Lebensdauer nicht begrenzt, da es sich auf langfristig bestehende, institutionalisierte Ankerpunkte wie Texte, Bilder und Riten stützt. Mittlerweile genießt das Konzept der Erinnerungsorte eine enorme Popularität. Die Konzepte von Maurice Halbwachs, Pierre Nora sowie Jan und Aleida Assmann stellen bei weitem nicht die einzigen, wohl aber die einflussreichsten Ansätze zur Erforschung kollektiver Erinnerung dar.+Nicht nur Pierre Nora, sondern auch die deutsche Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann und ihr Mann, der Kulturwissenschaftler Jan Assmann, haben sich von Maurice Halbwachs‘ Überlegungen inspirieren lassen. Sie entwickelten dessen Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis weiter und unterscheiden ​zwischen einem kurzlebigen,​ dynamischen kommunikativen einem dauerhaften kulturellen Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis dient in erster Linie der Bewältigung des täglichen Lebens. Die darin bewahrten gemeinsamen Erinnerungen beruhen auf der alltäglichen zwischenmenschlichen Kommunikation und gehen nach nur etwa drei bis vier Generationen verloren. Im Gegensatz dazu ist das kulturelle Gedächtnis in seiner Lebensdauer nicht begrenzt, da es sich auf langfristig bestehende, institutionalisierte Ankerpunkte wie Texte, Bilder und Riten stützt. Mittlerweile genießt das Konzept der Erinnerungsorte eine enorme Popularität. Die Konzepte von Maurice Halbwachs, Pierre Nora sowie Jan und Aleida Assmann stellen bei weitem nicht die einzigen, wohl aber die einflussreichsten Ansätze zur Erforschung kollektiver Erinnerung dar.
  
 Erinnerungsorte können auf mehreren Ebenen nebeneinander existieren. So gibt es (inter)nationale und auch regionale ​ – in unserem Fall Siegerländer – Erinnerungsorte. Zudem haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen durchaus unterschiedliche Erinnerungsorte. Ältere Menschen können andere haben als junge, Protestanten andere als Katholiken, – um nur einige mögliche Erinnerungsgemeinschaften zu nennen. Gemeinsam ist ihnen, dass viele Menschen etwas mit ihnen verbinden und sie für ihre Identität als relevant einstufen. Erinnerungsorte können auf mehreren Ebenen nebeneinander existieren. So gibt es (inter)nationale und auch regionale ​ – in unserem Fall Siegerländer – Erinnerungsorte. Zudem haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen durchaus unterschiedliche Erinnerungsorte. Ältere Menschen können andere haben als junge, Protestanten andere als Katholiken, – um nur einige mögliche Erinnerungsgemeinschaften zu nennen. Gemeinsam ist ihnen, dass viele Menschen etwas mit ihnen verbinden und sie für ihre Identität als relevant einstufen.
  
-Diese Vielfalt der Erinnerungsgemeinschaften spiegelt sich in zahlreichen Buchpublikationen zu (inter)nationalen sowie regionalen Erinnerungsorten wider. Die deutschen Erinnerungsorte wurden von Etienne François & Hagen Schulze veröffentlicht,​ welche dabei jedoch ein anderes Anliegen verfolgten als Pierre Nora zuvor mit seiner Pionierarbeit Les lieux de mémoire. Während es, wie schon der Titel „Erinnerungsorte Frankreichs“ andeutet, Noras Anlie-gen ​gewesen war, die französische Nationalgeschichte aus dem Blickwinkel der Erinne-rungsgeschichte ​neu zu erzählen, wählten François und Schulze angesichts der vielen Brüche in der deutschen Geschichte bewusst den Titel „Deutsche Erinnerungsorte,​ der keinen Hinweis auf eine nationale und staatliche Kontinuität enthält.+Diese Vielfalt der Erinnerungsgemeinschaften spiegelt sich in zahlreichen Buchpublikationen zu (inter)nationalen sowie regionalen Erinnerungsorten wider. Die deutschen Erinnerungsorte wurden von Etienne François & Hagen Schulze veröffentlicht,​ welche dabei jedoch ein anderes Anliegen verfolgten als Pierre Nora zuvor mit seiner Pionierarbeit Les lieux de mémoire. Während es, wie schon der Titel „Erinnerungsorte Frankreichs“ andeutet, Noras Anliegen ​gewesen war, die französische Nationalgeschichte aus dem Blickwinkel der Erinnerungsgeschichte ​neu zu erzählen, wählten François und Schulze angesichts der vielen Brüche in der deutschen Geschichte bewusst den Titel „Deutsche Erinnerungsorte, der keinen Hinweis auf eine nationale und staatliche Kontinuität enthält.
 Unter den von Ihnen ausgemachten Erinnerungsorten finden sich so unterschiedliche Dinge wie der Berliner Reichstag, Goethe, Grimms Märchen, die Bundesliga und Beethovens Neunte aber auch schmerzhafte oder Unbehagen und Scham auslösende Erinnerungsorte wie Stalingrad oder Auschwitz. ​ Unter den von Ihnen ausgemachten Erinnerungsorten finden sich so unterschiedliche Dinge wie der Berliner Reichstag, Goethe, Grimms Märchen, die Bundesliga und Beethovens Neunte aber auch schmerzhafte oder Unbehagen und Scham auslösende Erinnerungsorte wie Stalingrad oder Auschwitz. ​
  
-Das Projekt ZEIT.RAUM Siegen will in Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern regionale Erinnerungsorte in und um Siegen identifizieren und auf ihre Bedeutung für die Menschen untersuchen. Teil des Projekts ist die Erstellung eines interaktiven und multimedialen 3D-Stadtmodells,​ welches im Siegerlandmuseum ausgestellt sein wird und solche Erinnerungsorte sicht- und greifbar macht.+Das Projekt ZEIT.RAUM Siegen will in Zusammenarbeit mit Bürgerinnen und Bürgern regionale Erinnerungsorte in und um Siegen identifizieren und auf ihre Bedeutung für die Menschen untersuchen. Teil des Projekts ist die Erstellung eines interaktiven und multimedialen 3D-Stadtmodells,​ welches im [[orte:​siegerlandmuseum|Siegerlandmuseum]] ausgestellt sein wird und solche Erinnerungsorte sicht- und greifbar macht.
  
 ===== Erinnerungskulturelle Debatten ===== ===== Erinnerungskulturelle Debatten =====
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 Obwohl die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bereits 1984 vorgeschlagen hatte, [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] auch in Siegen angemessen zu ehren und die israelische Gedenkstätte Yad Vashem ihn bereits im Jahr 2000 mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ auszeichnete,​ waren die Bestrebungen,​ [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] durch die Benennung einer Straße oder eines Platzes zu ehren, lange Zeit umstritten. Erst 2012 beschloss der Rat der Stadt Siegen, den neuen Platz vor dem Eingang des Kreiskrankenhauses in Siegen-Weidenau nach [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] zu benennen. Obwohl die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bereits 1984 vorgeschlagen hatte, [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] auch in Siegen angemessen zu ehren und die israelische Gedenkstätte Yad Vashem ihn bereits im Jahr 2000 mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ auszeichnete,​ waren die Bestrebungen,​ [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] durch die Benennung einer Straße oder eines Platzes zu ehren, lange Zeit umstritten. Erst 2012 beschloss der Rat der Stadt Siegen, den neuen Platz vor dem Eingang des Kreiskrankenhauses in Siegen-Weidenau nach [[menschen:​walter_kraemer|Walter Krämer]] zu benennen.
  
-===== Quellen ===== 
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-===== Beiträge der Nutzerinnen und Nutzer ===== 
  
 +===== Meinungen der Nutzerinnen und Nutzer =====
 +~~DISQUS~~
  
  
ideen-traditionen/erinnerungsort.1484693989.txt.gz · Zuletzt geändert: 2017/10/19 16:18 (Externe Bearbeitung)