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Monte Schlacko

John Otto

Der Monte Schlacko ist eine Schlackenhalde auf dem Haardter Berg im Stadtteil Siegen-Geisweid. Es handelt sich um eine Kegelhalde, die auf einem größeren Schlackenplateau fußt und zwischen 1900 und 1930 entstand. Als Monte Schlacko wird heute allerdings ausschließlich der Haldenkegel bezeichnet. Der Name ist eine im Ruhrgebiet geläufig Bezeichnung für Schlackenhalden aller Art. Für die Siegener Halde hat sich der Name vermutlich in den 1950er Jahren durchgesetzt. Ältere Namen der Schlackenhalde sind „Piz Palü“ und „Fudschijama“. Der Monte Schlacko gilt inoffziell als höchster Berg Siegens. Im Stadtbild nimmt er daher eine exponierte Stellung ein und ist bei gutem Wetter weithin sichtbar.

Der Monte Schlacko heute; am oberen Bildrand ist eine Stahlkonstruktion in Ansätzen zu erkennen.

Sachgeschichte

Die Gründung der Bremer Hütte und die Entstehung der Halde

Der Monte Schlacko entstand als Halde für die bei der Stahlverhüttung anfallende Schlacke der Bremer Hütte in Geisweid. Die Gründungsgeschichte der Bremer Hütte begann mit den Arbeiten an der Ruhr-Sieg-Bahn in den 1860er Jahren, mithilfe derer die Transportinfrastruktur zwischen den Eisen- und Stahlstandorten Ruhrgebiet und Siegerland verbessert wurde. Als die Ruhr-Sieg-Bahn 1872 zweigleisig ausgebaut wurde, fiel die Bauleitung einem Direktor Weihe aus Bremen zu. Dieser berichtete in seiner Heimatstadt vom Siegerländer Montanboom, woraufhin sich die Bremer Nationalbank zur Investition in einen Hochofen entschloss. Dieser Hochofen wurde 1873 in Geisweid in Betrieb genommen. Es handelte sich zunächst um ein reines Werk zur Produktion von Roheisen. Die dabei anfallende Schlacke konnte zunächst noch problemlos auf dem Werksgelände gelagert werden. Am 25. Mai 1888 wurde die Hochoffenanlage in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Hierzu wurden 150 Stammaktien mit einem Wert von je 1.000 Mark ausgegeben. Die Bremer Nationalbank erhielt hiervon 40 Stück. Diese Aktien erhielt sie als Gegenleistung für die Verpachtung des Hochofens, der zunächst im Besitz der Bank blieb. Die übrigen Teile gingen an Unternehmer aus dem Siegerland. Allen voran ist hier Walter Siebel aus Kirchen zu nennen, der zudem auch im Vorstand der neugegründeten Bremer Hütten AG saß. Die Familie Siebel zählte zu den reichsten Familien des Siegerlandes. Sie besaß große Anteile an der Grube Storch und Schöneberg, die zeitweise die größte Grube Europas war. Die Verbindungen zwischen der Bremer Hütte und der Storch und Schöneberg AG sollten sich in den folgenden Jahren intensiveren. Die Bremer Hütte expandierte massiv: Zunächst wurde 1893 der Hochofen von der Bremer Nationalbank für 230.000 Mark erworben. In den Jahren 1900 und 1901 wurden etwa 4,5 Millionen Mark investiert. Das Unternehmen erwarb u.a. zwei Hochöfen, eine Schlackensteinfabrik, sowie mehrere Walz- und Puddelwerke. Die Konstruktion einer Drahtseilbahn, mit deren Hilfe die Schlacke auf die nahegelegenen Berge transportiert werden konnte, fällt ebenfalls in diesen Zeitraum – und damit auch die Geburtsstunde des Monte Schlacko.

Die Seilbahn wurde vermutlich im April 1900 in Betrieb genommen. Zunächst entstand durch die Aufschüttung eine Art Plateau, welches wohl aufgrund von optischen Ähnlichkeiten mit dem afrikanischen Vulkanmassiv als „Kamerunberg“ bezeichnet wurde. Die Namensgebung verweist auf den gleichnamigen höchsten Berg in der damaligen deutschen Kolonie Kamerun und die mediale Präsenz der Kolonien in der Kaiserzeit – selbst in Südwestfalen. Die kegelförmige Sandhalde, welche heute als Monte Schlacko bezeichnet wird, fußt auf diesem Plateau und entstand in den 1920er Jahren durch eine Erweiterung der Seilbahnkonstruktion. Die heute noch dort zu findenden Stahlträgerkonstruktion, diente als Wendepunkt für die mit Schlacke beladenen Waggons. Die Bremer Hütte expandierte bis in die 1920er Jahre fortwährend, indem man Gruben und ein Kalksteinwerk erwarb. Zudem wurden moderne Verwaltungs- und Bürogebäude gebaut und diverse Modernisierungen der Produktionsstätten durchgeführt. 1917 fusionierte die Bremer Hütten AG mit ihrem langjährigem Erzlieferanten, den von Walter Siebel geführten Gewerken Storch und Schöneberg. Sie wurde nun unter dem Namen Storch und Schöneberg AG geführt.

Der Niedergang der Bremer Hütte

Obwohl die Siegener Eisenindustrie ihre Produktion seit der Eröffnung der Ruhr-Sieg-Bahn bis 1913 um 2.400 Prozent steigerte, ging ihr Anteil an der deutschen Gesamtförderung weiter zurück. Das Siegerland wurde als Eisenregion immer unbedeutender. Trotz der Bahnstrecke Siegen-Hagen waren die Frachtkosten für Kohle aus dem Ruhrgebiet immer noch sehr hoch. Dieser Standortnachteil erschwerte es der lokalen Stahlindustrie auf dem globalen und nationalen Markt mit dem Ruhrgebiet und anderen Montanzentren konkurrieren zu können. Des Weiteren war der Transport von Erz aus dem Siegerland ins Ruhrgebiet verhältnismäßig kostengünstiger. Dies war für die Eisenregion Siegen Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite waren die Ruhrkonzerne sehr an dem manganhaltigen Siegener Eisenerz interessiert, da dieses für das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreiteten Bessermerverfahren zur Stahlherstellung benötigt wurde - ein lohnender Absatzmarkt für die Siegener Gruben. Auf der anderen Seite wurde das Siegerland zum Rohstofflieferanten der Ruhrkonzerne degradiert, welche das Siegener Eisenerz weiterverarbeiteten, womit sich wesentlich höhere Gewinne erzielen ließen. Zudem verfolgten die Ruhrkonzerne eine Expansionsstrategie der vertikalen Integration: Sie begannen zunehmend damit, die Siegener Gruben aufzukaufen und die begehrten Erze selbst zu fördern. Das führte dazu, dass die Siegener Industrie teilweise Erze von außerhalb beziehen musste, was mit höheren Transportkosten verbunden war. Um sich vor den ökonomisch mächtigeren Ruhrkonzernen zu schützen, schlossen sich Siegener Unternehmen zusammen und vertieften ihre vertikale Integration. Diese Entwicklung lässt exemplarisch an der Geschichte der Bremer Hütte beobachten. So erwarb diese Gruben und fusionierte mit den Gewerken Storch & Schöneberg, um sich deren Rohstoffe zu sichern und den Konzernen an der Ruhr zuvorzukommen.

Die Transportkosten blieben dennoch das größte Problem der Siegerländer Wirtschaft. Solange die Stahlherstellung noch auf das Bessemerverfahren gesetzt hatte, war es ökonomisch noch rentabel, höhere Transportkosten für Siegener Erze in Kauf zu nehmen. Mit dem Thomasverfahren entwickelte sich in den 1880er Jahren allerdings eine innovative Herstellungsweise für Stahl, die es nunmehr erlaubte, auf die lothringischen Minette zurückzugreifen. Diese konnten über den Wasserweg wesentlich günstiger ins Ruhrgebiet geliefert werden. Die Siegener Eisenindustrie war nun auf Nottarife angewiesen, die den Transport von Koks und Kohle aus dem Ruhrgebiet in das Siegerland zu günstigeren Konditionen ermöglichten. Damit sollte die Stahlproduktion und die metallverarbeitende Industrie im Siegerland gestärkt werden, da der direkte Verkauf der Erze weniger rentabel gemacht wurde. Dennoch gelang es bei der Herstellung von industriellen Massenprodukten nicht mit den Ruhrkonzernen zu konkurrieren. Lediglich hochspezialisierte Nischenprodukte, wie das kalterblasene Spezialroheisen, konnten am Markt bestehen.

Im Zuge des Ersten Weltkrieges gewann die Eisenregion Siegen noch einmal an Bedeutung. Auf Grund der Störung des Welthandels erhielt das Siegerländer Eisen erneut Relevanz, da es unter anderem für die Rüstung benötigt wurde. Nach dem Krieg intensivierten die Ruhrkonzerne ihre Bemühungen, die Siegerländer Rohstoffe in ihren Besitz zu bringen, um in Zukunft unabhängiger von ausländischen Rohstofflieferungen zu sein. Sie kauften ganze Konzerne auf und legten ihre Produktionsquote an die Hochöfen und Werke an. Da die Siegerländer Betriebe diesem Vergleich nicht standhalten konnten, wurden sie häufig geschlossen und die Produktion ins Ruhrgebiet verlagert. Dies geschah auch mit der Bremer Hütte, die zuletzt unter dem Namen Storch & Schöneberg AG geführt wurde. Gegen Ende der 1920er erwarben die Mannesmann-Röhrenwerke die Aktienmehrheit. Der Betrieb wurde zunächst fortgeführt, sodass das Werk während der Weltwirtschaftskrise vollbeschäftigt blieb. Gleichzeitig wurde am Niederrhein ein neues Werk errichtet, um die Hütte in Geisweid zu ersetzen. Am 31. Januar 1930 wurde dann ihr Hochofen ausgeblasen und die ehemalige Bremer Hütte mitsamt den angeschlossenen Werken geschlossen.

Erinnerungskulturelle Debatten: "Kolossaler Abfallhaufen" oder wichtiger Erinnerungsort?

Mit dem Ausblasen der Hochöfen hatte der Monte Schlacko seine maximale Höhe erreicht und wurde zu einem Relikt der Vergangenheit. Obwohl es sich bei der Sandhalde im Grunde um einen riesigen Abfallhaufen handelt, galt sie den Bewohnerinnen und Bewohnern von Klafeld und Geisweid schon früh als ein Symbol industrieller Macht und sie wurde zu einem Wahrzeichen des Hüttentals stilisiert. Seit 1952 zierte der Monte Schlacko das Wappen der Gemeinde Klafeld-Geisweid. Auf dem Wappen befindet sich im Vordergrund ein Hüttenmann, der mit einer Zange einen rot glühenden Eisenblock umfasst. Im Hintergrund thront der Monte Schlacko. Spätestens seit dieser Zeit war die Sandhalde ein Wahrzeichen der Siegener Industrie.

Tafel zur 925-Jahrfeier von Klafeld mit dem Wappen von 1952

Im Laufe der Zeit wurde der Monte Schlacko mehr und mehr zu einem Industriedenkmal erhoben. In dem im Jahr 1990 erschienenen Bildband „Das Hüttental. Alte Ansichten neu dokumentiert“ von Horst Kesper findet sich eine Fotographie des Monte Schlackos aus den 1920er Jahren. Im Text darunter wird die Sandhalde „als Wahrzeichen der Eisen- und Stahlindustrie im Hüttental“1) (Siehe auch Materialsammlung Quelle 3) beschrieben. Der ehemalige Siegener Studierende Kristian Kosch hat 2007 aus privatem Antrieb ein kleines Büchlein über den Monte Schlacko verfasst. In Vorwort kommen die unterschiedlichen Blickweisen auf die Sandhalde zum Ausdruck: „In den Augen der Meisten bleibt er [der Monte Schlacko; Anm. Otto] ein kolossaler Dreckhaufen; eine unangenehm auffallende Bizzarie in einer ansonsten eher abgerundeten und bewaldeten Mittelgebirgslandschaft.“2) Auch wenn Koschs Einschätzungen nicht empirisch fundiert sind, so sind es dennoch die Einschätzungen eines Siegener Bürgers, der hier Einblicke in seine individuelle Wahrnehmung des kommunikativen Gedächtnisses gibt. Was Kosch hier beschreibt, ist die polarisierende Wirkung des Monte Schlackos. Für die einen ist er ein markantes Überbleibsel einer glorreichen Epoche der Siegener Stadtgeschichte, für die anderen bloß ein Haufen Industriemüll.

Der Monte Schlacko Ende der 1920er Jahre; rechts ist der Haldenkegel mit Seilbahn zusehen; links davon das Plateau -der sog. „Kamerunberg“

Dieser erinnerungskulturelle Konflikt trat schon 1977 im Rahmen einer Begrünungsaktion am Monte Schlackos offen zu Tage. Bereits im Titel eines zu diesem Thema im Lokalblatt „Blickpunkt Hüttental“ erschienenen Artikel wird der Monte Schlacko als „Wahrzeichen der Hüttenindustrie“ 3) tituliert. Im Artikel wird klar, dass es nicht nur Befürworter dieser Begrünungsaktion gab, da die Sandhalde „blank und bloß sicherlich zu den letzten herausragenden Zeugen der Siegerländer Hüttenindustrie“4) gehöre. Der Autor positioniert sich vorsichtig gegen die Begrünungsaktion und schließt seinen Artikel mit einer längeren Passage aus der „Geschichte der Gemeinde Klafeld-Geisweid“ 5) von Böttger und Busch, in der die Geschichte der Bremer Hütte erzählt wird. Damit verweist er auf den Monte Schlacko, als gegenwärtig wahrnehmbares Zeugnis der Siegeländer Hüttenindustrie von etwa 1870-1930. Die Begrünungsaktion war indes nicht von Erfolg gekrönt, so dass die Wetterseite des Berges heute immer noch „blank und bloß“ weithin sichtbar ist. 2012 nahm die Stadt Siegen den Monte Schlacko als Industriedenkmal in ihre Denkmalliste auf. Heike Balzer, die Denkmalbeauftrage der Stadt Siegen, begründete die Entscheidung damit, dass Geisweid ohne den Monte Schlacko für die Bevölkerung nicht vorstellbar sei. Wichtiger sei allerdings, dass die Sandhalde als letztes Überbleibsel der Bremer Hütte „ein wichtiges Erinnerungsstück der regionalen Wirtschaftshistorie sei.“ 6) (Vgl. Materialsammlung Quelle 1) Mit dem Denkmalschutzlabel verfolge man „eine Bewusstmachung der Geschichte“ 7), da es kaum noch Relikte aus dieser Zeit gebe. Hier wird zum einen deutlich, dass der Monte Schlacko in seiner gegenwärtigen Form für die Siegenerinnen und Siegener zum Erscheinungsbild des Stadtteils gehört. Zum anderen werden Bestrebungen augenfällig, den Monte Schlacko als ein Tor zur Geschichte zu nutzen, das es ermöglicht, die Phase der Siegener Hüttenindustrie mittels des Erinnerungsortes Monte Schlacko im Gedächtnis der Menschen lebendig zu halten. Der Vorstoß, dies mithilfe des Denkmalstatus zu tun, scheiterte allerdings. Denn die Deutschen Edelstahlwerke, auf deren Grund und Boden der Monte Schlacko heute steht, klagten dagegen erfolgreich.

Arbeiter an der Wetterseite des Monte Schlackos im Rahmen der Begrünungsaktion 1977: Es wurde Löcher in Schlackenhalde gesprengt und gebohrt, die mit Erde befüllt und bepflanzt wurden.

Ein Beispiel für den Aufstieg des Monte Schlacko in den Rang einer liebevoll bedachten touristischen Attraktion ist der Dilldappen-Kalender aus dem Jahr 2016 von Matthias Kringe. Dort ist der Monte Schlacko im Stil des brasilianischen Karnevals in Szene gesetzt, das Siegerländer Äquivalent zum Zuckerhut in Rio de Janeiro.

Motiv aus dem Dilldappen-Kalender 2016 von Matthias Kringe

Materialien für den Geschichtsunterricht


Meinungen der Nutzerinnen und Nutzer

1)
Horst Kepser: Das Hüttental: Hämmer, Hochöfen, Hütten. Alte Ansichten neu dokumentiert, Siegen 1990, S. 21.
2)
Kristian Kosch: Der Monte Schlacko. Die Graue Eminenz des Hüttentals, Siegen 2007, S. 23.
3)
Anonym: Ein grünes Kleid für die alte Sandhalde. Das Wahrzeichen der Hüttenindustrie wird bepflanzt, in: Blickpunkt, Nr. 6/1977, S. 35-43, S. 35.
4)
Ebd, S. 38.
5)
Vgl. Hermann Böttger/Gustav Busch: Geschichte der Gemeinde Klafeld-Geisweid, Siegen 1955.
6) , 7)
orte/monte_schlacko.1620663481.txt.gz · Zuletzt geändert: 2021/05/10 18:18 von armchairtimetraveller