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Henner und Frieder

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„Henner“ (Heinrich) und „Frieder“ (Friedrich) sind zwei Bronzeplastiken, welche die Geschichte des Siegerländer Erzbergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie versinnbildlichen. Die überlebensgroßen Standbilder eines Bergmanns und eines Hüttenmanns wurden im Jahr 1904 auf der Siegbrücke aufgestellt und haben seitdem mehrfach ihren Standort gewechselt. Heute stehen sie auf der neuen Oberstadtbrücke und überblicken das neugestaltete Siegufer.

Sachgeschichte

Eisenproduktion im Siegerland

Bereits vor über 2500 Jahren, in der vorrömischen Eisenzeit, wurde im Siegerland Eisenerz verhüttet. Keltische Zuwanderer, die sich vermutlich aufgrund der Erzvorkommen in der Region niedergelassen hatten, verhütteten das im oberirdischen Tagebau gewonnene Eisenerz mithilfe von Holzkohle in Rennöfen. Ein solcher Rennofen, der 1933 im Ortsteil Achenbach ausgegraben wurde, ist im Siegerlandmuseum im Oberen Schloss ausgestellt.1)

Ab dem 12. Jahrhundert n. Chr. entwickelte sich das Siegerland zu einer der wichtigsten europäischen Montanregionen. Nun wurden die Eisenerze auch unter Tage abgebaut und vor Ort verhüttet. Die dafür nötige Holzkohle wurde in Kohlenmeilern aus dem Holz der nahegelegenen Hauberge hergestellt. Anschließend erfolgte die Weiterverarbeitung in Gießereien, Hammer- und Walzwerken. Die Arbeit der Berg- und Hüttenleute war körperlich belastend und wurde unter schwierigsten Bedingungen geleistet.

In den 1960er Jahren schlossen die letzten Gruben im Siegerland – und mit dem Niedergang der letzten Hochofen- und Stahlwerke in den darauffolgenden Jahrzehnten endete auch die Eisen- und Stahlerzeugung in der Region. Die Stahl- und Blechverarbeitung indes spielen auch heute noch eine wichtige Rolle im Siegerland.

Entwurf

Henner und Frieder wurden zwar in einer Berliner Gießerei (Schäffer & Walker) gegossen, der Entwurf der Bronzefiguren stammt jedoch von einem Siegener, dem Bildhauer Friedrich Reusch (1843-1906). Der Sohn eines Schreinermeisters hatte in Berlin und Rom studiert und bekleidete seit 1881 eine Professur an der Kunstakademie in Königsberg. Weitere Werke von Reusch, ein Selbstportrait sowie eine Büste seiner Eltern, sind im Siegerlandmuseum zu sehen.

Friedrich Reusch in seinem Atelier

Ziel des Künstlers war es, die charakteristischen Merkmale der in den Gruben und den Hüttenwerken arbeitenden Männer darzustellen. So tragen Henner und Frieder die typische Kleidung und Werkzeuge ihres Berufsstands. Der Bergmann, für den der Landwirt Philipp Hüttenhain aus Seelbach (1836-1908) Modell stand, hält eine Hacke über der Schulter und eine Grubenlampe in der rechten Hand. Der Hüttenmann hingegen ist mit einer Zange zu sehen, mit der er ein Schwammeisen greift. Er wurde nach dem Vorbild des im Sieghütter Hammerwerk tätigen Luppenschmieds Friedrich Bingener (1859-1939) aus Dreis-Tiefenbach geschaffen, welcher für das Modellstehen eine Belohnung von fünfzig Reichsmark erhielt.

Standort

In den über hundert Jahren seit ihrer Entstehung mussten Henner und Frieder bereits mehrfach ‚umziehen‘. Anlass für ihre Herstellung war die „Siegerländer Collectiv-Ausstellung“ von 1902 im Rahmen einer großen Industrie- und Gewerbeschau in Düsseldorf. Nach deren Ende wurden die Figuren der Stadt Siegen von Unternehmern aus der Region als Geschenk vermacht und fanden am 28. September 1904 eine neue Heimat auf der 1882 errichteten Siegbrücke. Ihre roten Sandsteinsockel, geziert von der Bergmannsweisheit „Wer Bergwerk will bauen muss Gott vertrauen.“ und dem Schillerzitat „Arbeit ist des Buergers Zierde Segen ist der Muehe Preis.“, ruhten auf den Mittelpfeilern der Brücke, welche eigens zu diesem Zweck verstärkt wurden.

Henner und Frieder auf der alten Siegbrücke

1933 mussten Henner und Frieder erstmals einer Baustelle weichen. Die alte Siegbrücke, welche den Anfordernissen des Verkehrs nicht mehr genügte, wurde abgerissen und durch eine neue Konstruktion aus Stahlbeton ersetzt, auf deren Mitte die beiden Figuren abermals aufgestellt wurden.

Nachdem sie den Bombenangriff auf Siegen am 16. Dezember 1944 unbeschadet überstanden hatten, wurden Henner und Frieder bei den Kämpfen um Siegen doch noch in Mitleidenschaft gezogen. Als Einheiten der Wehrmacht auf dem Rückzug die Siegbrücke sprengten, stürzten sie in die Sieg.

Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden die Skulpturen aus dem Fluss geborgen, wobei man feststellte, dass Henner seine Grubenlampe, unter Bergleuten als „Frosch“ bezeichnet, abhandengekommen war. Die schwer lädierten Figuren wurden restauriert und 1948 nahe der Siegbrücke, im Bereich des Brückenzugangs auf der Bahnhofseite (Heeserstraße) wieder aufgestellt. 1950 erhielt der Bergmann seine Grubenlampe zurück - ein Altmetallhändler hatte sie in einem Schrotthaufen entdeckt.

Henner um 1950 an seinem neuen Standort (Stadtarchiv Siegen, Best. Ansichtskartensammlung)

Henner und Frieders Standort nahe der Siegbrücke, im Bereich des Brückenzugangs auf der Bahnhofseite

Auf die turbulenten dreißiger und vierziger Jahre folgte für Henner und Frieder eine Periode der Ruhe. Erst in den 1970er Jahren kam es zu geringfügigen Veränderungen. Zunächst musste der Hüttenmann Frieder 1971 der Baustelle des City-Kaufhauses weichen. 1973 wurden beide Figuren um einige Meter versetzt und standen nun nebeneinander auf der neuen Betonüberkragung der Sieg (im Volksmund wenig liebevoll „Siegplatte“ genannt).

Henner und Frieder an ihrem alten Standort auf der Siegplatte (Foto: Bob Ionescu)

Dort, im Herzen der Stadt, blieben Henner und Frieder auch die folgenden Jahrzehnte über. Der jüngste Standortwechsel kündigte sich im Jahr 2012 an. Im Rahmen der Neugestaltung des Siegufers unter dem Motto „Siegen - Zu neuen Ufern“ war beschlossen worden, die „Siegplatte“ abzureißen, sodass Henner und Frieder ‚umziehen‘ mussten. Im August 2012 wurden die Standbilder auf dem Bauhof der Stadt eingelagert, wo sie eine gründliche Reinigung und einen neuen Oberflächenschutz erhielten. Im Anschluss an die Baumaßnahmen sollten sie, so das Ergebnis einer öffentlichen Abstimmung, auf der neu zu errichtenden Oberstadtbrücke Platz finden. Die Vorgänge rund um den Umzug wurden von Bürgerinnen und Bürgern mit großem Interesse verfolgt und von der Presse ausführlich dokumentiert.

In den Morgenstunden des 10. Septembers 2015 schließlich konnten Henner und Frieder auf den neuen Sockeln in der Mitte der neuen Oberstadtbrücke aufgestellt werden. Am Abend desselben Tages wurden sie feierlich von Bürgermeister Steffen Mues enthüllt. Auf der Oberstadtbrücke sind Henner und Frieder nun nicht mehr nebeneinander postiert, sondern stehen sich gegenüber. Henner schaut nach Süd-Westen in Richtung des Rheins. Frieder hingegen richtet den Blick nach Nordosten in Richtung der Siegquelle und des Rothaargebirges und erinnert damit an eine Zunftordnung aus dem Jahr 1516, welche es den Siegerländer Hüttenleuten verbot, außerhalb der Heimat ihren Beruf auszuüben oder ihre Kenntnisse über die Eisenverarbeitung weiterzugeben.

Die Einweihungsfeier des neuen Standorts von Henner und Frieder auf der Siegplatte (Foto: Herbert Bäumer und Pressestelle der Stadt Siegen) 2)

Erinnerungskulturelle Debatten

Friedrich Reusch wollte mit Henner und Frieder nicht nur der Montanindustrie, sondern auch den genügsamen und hart arbeitenden Menschen im Siegerland ein Denkmal setzen.

In jüngerer Vergangenheit sind die beiden Figuren als „Helden der Arbeit“ 3) bezeichnet worden. Die Schöpfungen Reuschs sind durch ihre jahrzehntelange Präsenz im Zentrum der Unterstadt für viele zu einem Wahrzeichen der Stadt selbst geworden. Dies spiegelt sich treffend in der Überschrift „Henner und Frieder sind ein Stück Siegen“ 4) wider, die anlässlich des hundertsten ‚Geburtstags‘ der beiden in der Westfälische Rundschau zu lesen war.

Dass Henner und Frieder schon früh als wichtige Symbolfiguren wahrgenommen wurden, zeigt ein Aprilscherz aus dem Jahr 1936. Damals berichtete die National Zeitung, dass die Figuren von ihren Sockeln entfernt und auf den turmartigen Dachabschlüssen des Apollo Licht- und Schauspielhauses aufgestellt worden seien. Eine entsprechende Fotomontage sollte die Falschmeldung authentischer wirken lassen.

Am 2. April 1954 zogen etwa 1400 Beschäftigte des Siegerländer Erzbergbaus in einem Schweigemarsch durch Siegen, um gegen die drohende Schließung der Grube „Eisenzecher Zug„ zu demonstrieren. Die Bergleute trugen eine große schwarze Fahne und ein breites Transparent: „2 Millionen Tonnen Eisenstein sollen für immer verloren sein?!“ Ein junger Demonstrant posierte mit seinem Plakat, auf dem der an Schiller angelehnte Spruch „Mohr du kannst gehen“ zu lesen ist, sicher nicht zufällig vor Henner.

Am 2. April 1954 zogen etwa 1400 Beschäftigte des Siegerländer Erzbergbaus in einem Schweigemarsch durch Siegen, um gegen die drohende Schließung der Grube „Eisenzecher Zug„ zu demonstrieren. Die Bergleute trugen eine große schwarze Fahne und ein breites Transparent: „2 Millionen Tonnen Eisenstein sollen für immer verloren sein?!“ Ein junger Demonstrant posierte mit seinem Plakat, auf dem der an Schiller angelehnte Spruch „Mohr du kannst gehen“ sicher nicht zufällig vor Henner.

Die wechselhafte Geschichte der Bronzefiguren wurde von der Öffentlichkeit stets mit Interesse verfolgt und von der lokalen Presse minutiös dokumentiert.

2012 widmete das Siegener Stadtarchiv den beiden eine Sonderausstellung mit dem Titel „Henner und Frieder – eine Präsentation“, auf der die Geschichte der Standbilder anhand von Postkarten und alten Presseberichten nachgezeichnet wurde.

Auch die Debatte um den Verbleib von Henner und Frieder nach dem Abriss der Siegplatte wirft ein Schlaglicht auf die Bedeutung der Figuren für die Bevölkerung. Eigentlich sollte ein Arbeitskreis im Auftrag des Stadtrats eine Vorauswahl möglicher neuer Standorte treffen, doch aufgrund des unerwartet großen öffentlichen Interesses überließen die Verantwortlichen die Entscheidung über den Verbleib der Figuren schließlich ganz den Bürgerinnen und Bürgern. An der Befragung auf der Homepage der Stadt Siegen und in den lokalen Zeitungen beteiligten sich letztlich über 2500 Personen. Die Rückkehr von Henner und Frieder nach ihrer dreijährigen Abwesenheit am 10. September 2015 wurde mit einem Festakt begangen, bei dem auch die Nachkommen des Luppenschmieds Friedrich Bingener, nach dessen Vorbild Friedrich Reusch seinen Frieder geschaffen hatte, anwesend waren.

Der von Ruth Fay geschaffenen Hüttenmann an der ehemaligen Bismarckschule, in: Siegener Zeitung vom 10.09.1991.

Doch auch abseits solcher Großereignisse haben Henner und Frieder ihre Spuren in der Region hinterlassen – ob als Vorbild für weitere künstlerische Darstellungen, wie den von Ruth Fay geschaffenen Hüttenmann an der ehemaligen Bismarckschule oder als Namensgeber für ein Volksmusik-Duo. Sie begegnen uns als Dekorationen an Hausfassaden, an Stromkästen oder als Miniaturversionen in Siegerländer Wohnzimmern. Beim Heimatverein Feuersbach gibt es sogar zwei eine Brauchtumsgruppe, die zu festlichen Anlässen Henner und Frieder darstellt.

Quellen

Meinungen der Nutzerinnen und Nutzer

3)
Elkar, Rainer S.: 1892-1896: Kaiserjubel unter dem Krönchen, in: Rainer S. Elkar, Jürgen H. Schawacht (Hg.): Siegen 1896. Bilder und Notizen aus der preußischen Provinz. Unter der Mitarbeit v. Thomas A. Bartolosch u.a., Siegen 1996, S. 10-32.
4)
Henner und Frieder sind ein Stück Siegen, in: Westfälische Rundschau vom 13.04.2002.
ideen-traditionen/henner_und_frieder.1492284092.txt.gz · Zuletzt geändert: 2017/10/19 16:18 (Externe Bearbeitung)