Die Haubergswirtschaft ist ein nachhaltiges Prinzip der genossenschaftlichen Waldbewirtschaftung, welche typisch für das Siegerland und die umliegenden Regionen ist. Sie war jahrhundertelang ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor. Die Haubergswirtschaft diente in erster Linie der Gewinnung von Holz, welches anschließend als Brennmaterial verwendet oder zu Holzkohle für die Eisenverhüttung weiterverarbeitet werden konnte. Darüber hinaus wurde der Hauberg als Viehweide und für den Anbau von Roggen und Buchweizen genutzt. Damit gehört die Haubergswirtschaft fest zur Siegerländer Erinnerungskultur. Doch auch für die Stadt Siegen ist die Haubergswirtschaft ein zentraler Erinnerungsort, denn die Geschichte der Haubergswirtschaft und der Stadt sind eng miteinander verwoben. Dies machte sich zuletzt in den erinnerungspolitischen Diskussionen bemerkbar, ob die Haubergswirtschaft UNESCO Weltkulturerbe werden sollte. Die Siegerländer Dilldappen, die Comicfiguren des Zeichners Matthias Kringe, welche hier längst zu Ikonen geworden sind, wohnen ebenfalls im Hauberg.
Aufgrund der vielen Wälder und Berge, die eine landwirtschaftliche Nutzung schwierig machten, wurde das Siegerland erst relativ spät besiedelt. Erst in der La-Tène Zeit um ca. 500 v. Chr. kamen mit den Kelten die ersten Siedler an, vermutlich wegen des hohen Metallerz- und Holzvorkommens in der Region.1) Die Kelten waren Hüttenleute und Schmiede zugleich. Der hohe Holzbedarf, der für die Schmiedefeuer und die Verhüttung des Erzes anfiel, veränderte die Gestalt des Waldes. Früher hatte es wahrscheinlich vorwiegend Buche gegeben, doch diese Baumart treibt nicht von selbst wieder aus, sondern muss gesät werden. So wandelte sich der Wald allmählich in einen Niederwald mit vorrangig Birken und Eichen um.2) Ein Niederwald ist ein Wald, dessen Bäume durch Wiederausschlagen aus einem abgehauenen oder abgesägten Stock entstehen. Da die Bäume nach einer gewissen Zeit gefällt werden, wird der Wald insgesamt nicht so hoch.3) Die Nutzung dieses Waldes erfolgte allerdings noch nicht systematisch und führte immer wieder zu lokalen Holzengpässen. Aufgrund dessen mussten die Kelten öfter ihre Siedlungsplätze wechseln und zogen sich um das Jahr 200 n. Chr. komplett aus dem Siegerland zurück.4)
Erst im 9. Jahrhundert n. Chr. wurde das Siegerland im Zuge der fränkischen Binnenkolonisation erneut besiedelt. Dank neuer Techniken und Innovationen in der Eisenverarbeitung verbesserte sich die Qualität des Siegener Eisens immens, was zu einem hohen Anstieg der Bevölkerung und zur Entstehung der Stadt Siegen führte. Auf der anderen Seite kam es aufgrund des Anstiegs der Produktion bald wieder zu einer Holznot. 5) Die Landesherren waren entweder direkt durch Teilhaberschaft oder indirekt durch Abgaben an den Hütten beteiligt, die bereits genossenschaftlich organisiert wurden. Eine geregelte Nutzung der Ressourcen Holz und Wasser waren notwendig, damit die Wirtschaft aufrechterhalten werden konnte. So wurden bereits im Hochmittelalter die Hüttentätigkeit per Erlass reguliert, um die Produktion auf bestimmte Zeiträume im Jahr zu beschränken. Im Jahr 1467 lässt sich der Begriff Hauberg erstmals urkundlich belegen.6)
In der Frühen Neuzeit wurden weitere Regeln bezüglich der Haubergsnutzung festgelegt. 1553 wurde die Umtriebszeit (bis wieder gefällt werden durfte) auf 16 Jahre festgelegt. Am 18.01.1562 erließ Graf Johann zu Nassau auf Anraten des Rates der Stadt Siegen eine neue Holz- und Waldordnung. Der Zweck dieser Ordnung war es, das Metallgewerbe und damit die gesamte Wirtschaft der Region abzusichern. Es wurde festgelegt, dass im Hauberg kein Baum gefällt werden durfte, der jünger als 15 Jahre alt war. Außerdem mussten zum Beispiel für jeden gefällten Stamm Bauholz vier Eichen gepflanzt werden. Fruchtbare Eichen durften nicht gefällt werden und jeder Hausbesitzer hatte die Pflicht, so viele Bäume jährlich zu pflanzen, wie er Rinder besaß.7)
Diese Regeln wurden vermutlich vielerorts nicht eingehalten, wie die Präambel der Forst- und Holzverordnung des Fürsten Adolf von Nassau-Siegen von 1711 vermuten lässt, denn dort mahnt er, die alten Verordnungen anzuwenden. Des Weiteren wurden die wichtigsten Elemente der bisherigen Ordnungen noch einmal zusammengefasst. Auf dieser Grundlage veranlasste der Fürst im Jahr 1718 die Vermessung der Hauberge im gesamten Fürstentum und eine neue Einteilung der Schlagreihen. Dies wird heute als die „güldene Jahnordnung“ von 1718 bezeichnet.8) 1774 verfasste der Siegener Advokat Johann Heinrich Schenk mit „Von den Haubergen. Juristisch-Oeconomische Abhandlung von den Haubergen des Fürstenthum Nassau Siegen“ die erste Darstellung über die Haubergswirtschaft.
In den 1850er Jahren betrug die Waldfläche des Siegerlandes 70%. Von dieser Fläche waren dreiviertel (74%) Hauberg.9) Der Hauberg war folglich nicht nur bedeutsam für die Wirtschaft, sondern prägte außerdem das regionale Landschaftsbild enorm. In den Jahren 1834 und 1879 wurden weitere Haubergsordnungen erlassen, die inhaltlich auf der alten fürstlichen Ordnung von 1711 aufbauten. Mit der Ordnung von 1879 wurde erstmals eine andere Bewirtschaftungsform als die niederwaldige und eine Herauslösung von Einzelgrundstücken erlaubt.10) Als 1861 die Ruhr-Sieg-Eisenbahnstrecke in Betrieb genommen wurde, verdrängte das ins Siegerland importierte Steinkohle-Koks nach und nach die im Hauberg gewonnene Holzkohle. Das zweite Standbein der Haubergswirtschaft, die Lohegewinnung, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch ausländische Gerberlohe verdrängt. Daraufhin gab es Bestrebungen zur Umwandlung des Haubergs in einen Hochwald und in große Viehweiden, den sogenannten Weidekämpen. Während der beiden Weltkriege kam es erneut zu einer Bewirtschaftung der traditionellen Art, um Versorgungsengpässe zu überbrücken. Doch zur Mitte der 1950er Jahre war es dann endgültig vorbei mit der traditionellen Haubergswirtschaft, wenn man von dem Projekt „Historischer Hauberg“ absieht.11) Heute wird der Hauberg zur Brennholzgewinnung und Waldpflege genutzt. Die Bewirtschaftung ist als Waldgenossenschaft mit einem gewählten Vorstand organisiert.
Die historische Haubergswirtschaft bestand aus drei zentralen Elementen. Die Prinzipien der Nachhaltigkeit und der gemeinschaftlichen Waldbewirtschaftung bestehen bis heute. Als Multifunktionswald wird der Hauberg seit Mitte der 1950er Jahre nicht mehr benutzt. Lediglich im Historischen Hauberg Fellinghausen werden die traditionellen Praktiken weiterhin angewandt.
Nachhaltigkeit
Das Prinzip der Haubergswirtschaft ist es, nur so viele Bäume zu fällen, wie nachwachsen können, um Holznotstände zu vermeiden. Dafür wird die Fläche einer Haubergsgenossenschaft in gleichgroße Teile unterteilt, die von ihrer Anzahl der Umtriebszeit der Bäume entsprechen (meistens zwischen 16 und 20 Jahren). Jedes Jahr darf nur eine Fläche gefällt werden. Nachdem man bei der letzten angekommen ist, wird wieder von vorne begonnen. In der Zwischenzeit haben die Bäume genug Zeit, wieder auszutreiben und zu wachsen. Die Reihenfolge, in welchem Jahr welche Fläche gefällt wird, wird vorab in einem Schlagplan festgelegt.12)
Haubergsgenossenschaft
Ein weiteres wichtiges Kennzeichen der Haubergswirtschaft ist die gemeinschaftliche Nutzung. Jeder Haubergsgenossenschaft (heute Waldgenossenschaft) gehört eine bestimmte Waldfläche. Das gemeinsame Vermögen wird unter den Mitgliedern nach der Größe ihrer Anteile verteilt. Diese Anteile werden meistens nach Münzen benannt, wie der Haubergspfennig. Die Mitglieder treffen sich einmal jährlich, meistens im Spätherbst oder im Winter, in einer Genossenschaftsversammlung. Dabei wird das Stimmrecht eines jeden nach den Anteilen berechnet. Darüber hinaus gibt es einen gewählten Vorstand, der aus dem Haubergsvorsteher und zwei Beisitzern besteht. Zusätzlich gibt es einen Rechner (Schatzmeister) und zwei Rechnungsprüfer. Seit 1843 war außerdem ein Haubergsschütze vorgesehen, der auf Lebenszeit ernannt wurde und für Recht und Ordnung sorgen sollte. Ein weiteres Organ war der Haubergsschöffenrat, der 1879 eingeführt wurde und die Haubergsgenossenschaften auf Kreisebene vertrat. Neben dem Landrat bestand er aus sechs gewählten Haubergsschöffen. 13)
Multifunktionswald
Der Hauberg hatte in vielerlei Hinsicht eine wichtige Bedeutung für die Stadt Siegen und die ganze Region. Er stellte Nahrungsmittel, Rohstoffe, Energieträger wie Brennholz und Holzkohle sowie Gelderträge bereit.14) Die Haubergswirtschaft war eine Kreislaufwirtschaft. Der Jahreszyklus begann mit dem Teilen. Dabei wurde die Schlagfläche in unterschiedliche Jähne unterteilt, die den Anteilen der Mitglieder entsprechen. Danach wurden die Birken und andere Weichhölzer gefällt (Räumen). Das gewonnene Holz wurde zur Herstellung von Holzkohle genutzt, und das anfallende Reisig zu sogenannten Schanzen gebunden, die entweder zur Beheizung der Wohnhäuser oder der gemeinschaftlichen Backöfen genutzt wurden. Mitte Mai wurden die Eichen geloht (die Rinde abgeschält). Diese Lohrinde diente vorrangig als Gerbermittel für die Lederherstellung, konnte getrocknet aber auch als Heizmaterial oder zur Unkrautvernichtung genutzt werden. Anschließend wurden die Eichen gefällt und verwertet. Das Besondere beim Niederwald ist, dass Birke und Eiche von alleine wieder ausschlagen, und nach einer Umschlagszeit von 16 bis 20 Jahren wieder so hoch gewachsen sind, dass sie erneut geschlagen werden können.15) Da die vielen Berge und Wälder die Anlegung von landschaftlichen Nutzungsflächen erschwerten, wurde der Hauberg ebenfalls für diesen Zweck genutzt. Nachdem man die Fläche vollständig geräumt und die Reste aus Gras und Sträuchern verbrannt hatte, wurde die Asche auf der gesamten Fläche verteilt, um sie landwirtschaftlich fruchtbar zu machen. Im Juni wurde dort Winterroggen und Buchweizen gesät. Deren Körner konnten später in verschiedenen Speisen verwendet werden. Winterroggen wurde typischerweise zu Mehl verarbeitet und daraus in den gemeinschaftlichen Backöfen Brot gebacken. Buchweizen wurde eher zu Kuchen oder Brei verarbeitet. Darüber hinaus konnte beides als Viehfutter verwendet werden, und das anfallende Stroh als Stallstreu oder als Dacheindeckung. 16) Zusätzlich bot sich der Hauberg auch zum Sammeln von Pilzen und Wildfrüchten an. Des Weiteren wurde der Hauberg auch als beaufsichtige Viehweide genutzt. Dies ging allerdings nur bei Haubergsflächen, die schon fünf Jahre oder älter waren, da sonst die Gefahr bestand, dass die jungen Austriebe gefressen wurden. Die Rinder stellten eine weitere Ernährungsgrundlage für die Bevölkerung dar und waren außerdem ein wichtiger Rohstoff für die Lederindustrie. Zusätzlich sorgte die Beweidung dafür, dass der Haubergsboden gedüngt und zumindest stellenweise verdichtet wurde.17) Folglich war die Haubergswirtschaft nicht nur wirtschaftlich bedeutend für Stadt und Region, sondern prägte durch ihren Jahreszyklus außerdem den Alltag der Menschen in den Dörfern (von denen heute viele Stadtteile der Stadt Siegen sind) in einem hohen Ausmaß.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde von verschiedenen Seiten vermehrt gefordert, im Interesse der Traditionspflege und der Forschung und Lehre, auf einem kleinen Teil der Waldfläche die traditionelle Haubergsbewirtschaftung fortzuführen. Im Jahr 1991 reichte Alfred Becker, der damalige Leiter des Forstamtes Siegen-Nord, ein Bewirtschaftungs- und Förderkonzept beim Land NRW ein, das bewilligt wurde. Als Ort wurde der Hauberg Fellinghausen im nördlichen Siegerland ausgewählt. Im Dezember desselben Jahres kam es zu einem Vertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Waldgenossenschaft Felling¬hausen. Diese verpflichtete sich, auf einem Teil ihrer Waldfläche die historische Haubergsnutzung fortzusetzen, und bekam als Ausgleich einen Zuschuss vom Land NRW gezahlt. Die Öffentlichkeit zeigte großes Interesse an dem Projekt. Noch heute berichtet die Presse regelmäßig über die Arbeiten im Historischen Hauberg. Auch für Schulklassen ist der Historische Hauberg ein beliebtes Ausflugsziel geworden. In den ersten 10 Jahren wurde er von 26.000 Menschen besucht, vorrangig von Schülerinnen und Schülern. 1999 wurde ein eigener Kohlenmeiler nachgebaut und in Betrieb genommen. Ab dem Jahr 2000 fanden verschiedene Experimente um einen La-Tène-Verhüttungsofen statt, der neue Erkenntnisse über die keltische Eisenerzverhüttung bringen sollte.18) Der Historische Hauberg hat also nicht nur eine pädagogische Funktion, sondern wird auch zu Forschungszwecken genutzt. Im Zuge dessen wurde er bereits von Wissenschaftlern aus aller Welt besucht.
Seit 2012 gab es Bestrebungen, die Haubergswirtschaft auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes zu bringen, angeregt durch den Bundestagsabgeordneten Volkmar Klein und den Burbacher Bürgermeister Christoph Ewers.19) Zum immateriellen Kulturerbe gehören mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, darstellende Künste, gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste, sowie Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation, Wissen und Bräuche und traditionelle Handwerkstechniken. 20) Es gibt ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren, um in diese Liste aufgenommen zu werden. 2015 beschloss der Kreistag die Einleitung eines Bewerbungsverfahrens und stellte entsprechende Mittel zur Verfügung. Die Begründung, wieso der Hauberg auf diese Liste gehöre, war, dass man Wissen an die nächste Generation vermitteln und Brauchtum und den Nachhaltigkeitsgedanken in die Zukunft tragen wolle. Im Zuge dessen wurde damit geworben, der Nachhaltigkeitsgedanke sei im Siegerland „erfunden“ worden. Dies wurde von Historikern der Universität Siegen kritisiert, da man unser heutiges Verständnis von Nachhaltigkeit auf eine vergangene Zeit anwende, ohne die Beweggründe der Menschen einzubeziehen. Deren Ziel war es nicht, die Umwelt, sondern die eigene Wirtschaft zu schützen, wie aus den Haubergsordnungen hervorgeht.21) Die erste Hürde wurde im April 2018 genommen, als das Land NRW die Siegerländer Haubergswirtschaft in die Liste des kulturellen Erbes NRW aufnahm.22) Am Ende desselben Jahres wurde die Haubergswirtschaft dann in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes Deutschlands eingetragen. Die UNESCO-Kommission schrieb dazu: „Die Haubergswirtschaft ist eine lokal verankerte und nachhaltige Form der Waldbewirtschaftung, […] sehr präsent und identitätsstiftend, besonders in den Dörfern bzw. dörflichen Stadtteilen“.23) Die letzte Etappe wäre die Aufnahme in die internationale UNESCO-Liste. Diese Entscheidung steht noch aus.
Becker, Alfred: Der Siegerländer Hauberg. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Waldwirtschaftsform, Kreuztal 1991 Becker, Alfred: Haubergs-Lexikon, Kreuztal 2002 Becker, Alfred: Wesen des Haubergs in: Landesbetrieb Wald und Holz NRW (Hrsg): Bilder aus dem Hauberg. Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten, Balve 2011, S. 13-17 Der Siegerländer Hauberg ist jetzt nationales Kulturerbe, in: Westfalenpost vom 12.12.2018 Deutsche UNESCO-Kommission (Hrsg.): Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe A bis Z, 3. und aktualisierte Ausgabe, Berlin 2019 http://siegerlaender-hauberg.info/ Groth, Daniel: Siegerländer Hauberg goes Weltkulturerbe?, in: Kuhn, Bärbel/ Weipert, Matthias (Hg.): Region und Außerschulische Lernorte, St. Ingbert 2018, S. 117 -122 Waldgenossenschaft Fellinghausen (Hrsg.): 20 Jahre Historischer Hauberg Fellinghausen, Kreuztal 2011 Willer, Monika: Weltkulturerbe aus Südwestfalen. Der Siegerländer Hauberg. In: Westfalenpost vom 28.01.2017
Hier finden Sie Anregungen, wie das Haubergswirtschaft mithilfe des ZEIT.RAUM Wikis im Geschichtsunterricht behandelt werden kann, sowie passende Quellen und Materialien.